Dienstag, 15. April 2014

Nicht verdrängen und vergessen


Ich spüle meinen Blechteller. Es gab Reis mit Sambar, wie jeden Mittag. Aber diesmal war es etwas Besonderes. Es war das letzte Mal. Morgen Abend sitze ich im Flugzeug und blicke auf ein Land, das für 8 Monate meine Heimat war. Der Chai beim Moslem am Kreisel, die Obsthändlerin, die für uns abrundet, der Conductor im Bus, der uns freundlich zuwinkt, die Kühe auf der Straße, das Treiben auf dem Markt in Hassan, all das wird mir fehlen. Ab übermorgen werde ich nicht mehr ständig gefragt, ob ich schon gegessen habe und in ein strahlendes Gesicht blicken, wenn ich mit „uta aytu“ antworte. Die Offenheit und Gastfreundschaft der Menschen hier, sie hat mich beeindruckt. Während meiner 8 Monate schlug mir nicht ein einziges Mal Fremdenhass entgegen. Im Gegenteil, man hat uns überall mit offenen Armen empfangen. Ich werde es vermissen, mich mit meinem Gegenüber im Zug, Bus oder beim Einkaufen über alles Mögliche zu unterhalten, von der richtigen Zubereitung von Biryani über die deutsche Geschichte bis hin zu den aktuellen Problemen Indiens. Vor allem aber werde ich den Alltag in der Brückenschule vermissen. Das Herumalbern mit den Kindern und den Brückenschullehrern, den Playground, ja selbst den täglichen Reis. Dieses Land mit all seinen Gegensätzen und Besonderheiten, es wird mir fehlen. Der Satz von Herman Hesse, er ist wahr: „Wer einmal nicht nur mit den Augen, sondern mit der Seele in Indien gewesen ist, dem bleibt es ein Heimwehland.“ In den vergangen 8 Monaten ist Indien eine zweite Heimat für mich geworden und es wird immer ein Teil von mir bleiben.
Doch was mache ich aus all den Erfahrungen, die ich hier gemacht habe? 8 Monate lang habe ich mit Kindern zusammengelebt, deren Familien zu arm waren, um ihre Schulbildung zu finanzieren. Kinder, die teilweise kein festes Dach über dem Kopf hatten, sondern auf der Straße gelebt haben. Und obwohl unsere Lebensgeschichten so unterschiedlich sind, habe ich eine sehr starke Bindung zu ihnen aufgebaut. Wenn ich auf dem Playground mit den älteren Kindern Volleyball gespielt habe, dann hatte ich nicht das Gefühl Betreuer zu sein, sondern meine Mitspieler waren Freunde. Und nun kehre ich zurück in mein altes Leben. In ein Haus, das fast so groß ist wie die ganze Brückenschule. Wo nicht 30 sondern 3 Leute leben. Ein Kleiderschrank erwartet mich, der genügend Klamotten für 5 Kinder hat. Ist das fair? Warum stehen mir alle Möglichkeiten offen, während diese Kinder darum bangen müssen, überhaupt irgendeinen Abschluss zu bekommen? Wieso durfte ich wohlbehütet aufwachsen, während andere Kinder täglich für ihr Essen betteln müssen?  Diese Ungerechtigkeit war mir auch schon vor Indien bewusst. Ich kannte die Bilder von Armut aus dem Fernsehen. Ich wusste, dass man eigentlich etwas dagegen tun müsste. Doch es blieb beim „müsste“. Hier habe ich gesehen, wie viel man mit wenig Geld erreichen kann. Gerade einmal 25€ kostet der Unterhalt für ein Kind in Prachodana pro Monat. Das ist weniger als ein 1€ pro Tag, der einem Kind ermöglicht zur Schule zu gehen, eine Perspektive gibt und erlaubt „Kind sein“ zu dürfen. Doch was mache ich mit diesem Wissen? Auf einen Euro am Tag kann man leicht verzichten, aber auf Indiens Straßen leben viele Kinder. Wie viel kann, will, muss ich von dem, was ich habe abgeben? Reicht bloßes Spenden überhaupt oder sollte ich nicht viel lieber mein Leben und Beruf darauf ausrichten, anderen zu helfen? Viele Fragen, auf die ich keine passende Antwort habe. Ich weiß nur, ich darf die Erfahrungen hier nicht verdrängen. Ich darf nicht die Verantwortung weiter von mir weisen und die Probleme ignorieren, weil sie wieder nur im Fernsehen zu sehen sind.      

(Robin)

1 Kommentar:

  1. Ein wundervoller Erfahrungsbericht!
    Dafür bin ich euch sehr dankbar und er erinnert mal wieder daran ohne Bewerten und mit offenen Augen in die Welt zu schauen.
    Wenn wir unsere Potenziale voll nutzen können wir anderen so viel geben!
    Freue mich auf Euch
    Renate

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