Dienstag, 15. April 2014

Was werde ich aus den Erfahrungen machen?

Wer reisen will, muss zunächst Liebe zu Land und Leute mitbringen, zumindest keine Voreingenommenheit. Er muss guten Willen haben, das Gute zu finden, anstatt es durch Vergleiche tot zu machen.
- Theodor Fontane
16.04.2014 aus dem Prachodana Jeep
Vor gut acht Monaten saßen wir schon mal mit unserem Direktor und unserem Fahrer im Jeep, damals ging es nach Hassan. Heute geht die Fahrt nach Bangalore, geschätzte Reisezeit 4:30. Anschließend neun Stunden Flug, ein Katzensprung. Schließlich haben wir schon sehr viele Stunden in indischen Bussen und Zügen verbracht. Diesmal allerdings scheint nur die Zeit kurz. Dafür sind die Unterschiede umso größer. Obwohl es in eine eigentlich vertraute Welt geht, sind jetzt, wie auch im August, einige Dinge ungewiss. Deutschland, Europa, alle die Dinge, die gedanklich damit verbunden sind scheinen in so weiter Ferne zu liegen. Es ist schwer vorstellbar wieder in die „andere“ Welt zu kommen. 
Unsere Kinder fahren schonmal vor nach Bangalore


Vor etwa ach Monaten kam ich in Indien an. Nach einer Einführungswoche ging es in unser Projekt. Die KKS schickte mich in ein Kinderheim. 35 Kinder, viele davon Straßenkinder, andere aus sozial problematischen Familien, zwei Lehrer, Robin und ich sollten 8 Monate lang zusammen in Prachodana leben. Ein Zuhause auf Zeit.

Es ist schwer die Fülle an Informationen und Eindrücke prägnant in Wort zu fassen. Ebenso schwer finde ich es, meinen Aufenthalt zu bewerten. Die meisten Momente und Eindrücke sind so speziell oder persönlich, dass sie sich nicht messen lassen.

Ein kleiner Junge steht vor unserer Zimmertür. „Nico Sir?“ Ich gehe zur Tür und er drückt mir mit einem Lächeln im Gesicht ein Bonbon in die Hand. Auf meine Nachfrage hin erklärt er mir, dass seine Eltern gerade da waren und ihm ein paar Bonbons mitgebracht haben. Mein Blick fällt auf unseren Schrank, Kinderriegel, Pralinen, Bonbons, Schokoladenosterhasen stapeln sich dort. Ich brauche dieses Bonbon nicht, aber der Junge möchte es gerne verschenken, er freut sich darüber mir etwas schenken zu können.

Es sind Momente wie diese, die einen Aufenthalt im Kinderheim besonders machen, für mich als Freiwilliger aber auch für die Kinder. Wir geben ihnen Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit, die sie sonst möglicherweise nie bekommen hätten. Am Ende meiner Projektzeit bin ich sicher, dass nicht die Aktivitäten, die wir für die Kinder gemacht haben, das entscheidende waren. Sondern die Zeit die wir mit ihnen verbrachten, sei es in einer Bastelstunde, Sportstunde oder einfach nur vor dem Büro auf der Bank.

Doch es gibt auch außerhalb von Prachodana viele Dinge, die in den letzten acht Monaten passiert sind. Es sind die Menschen, ihre Kultur und ihr Verhalten, die uns häufig neue Dinge gezeigt und vor große Fragezeichen gestellt haben. Häufig habe ich in letzter Zeit gedacht: „Warum muss immer alles so furchtbar kompliziert sein?“, „Warum hört man uns nicht einfach bis zum Ende zu?“, „Warum muss alles immer auf den letzten Drücker passieren?“ und vor allem: „Warum muss man immer Warten?“

„Die Inder drängeln!“, höre ich jemanden sagen und in der Tat werde ich mit einer Hand im Rücken beiseite geschoben. Die Konversation wird im Imperativ geführt, die Wartenden drängeln sich in den Bus, ehe alle aussteigen konnten.  Ich stelle einen wohlbekannten Vergleich mit Deutschland an: Kennt man hier kein Benehmen?
Schließlich stehe ich im Bus beide Hände voll mit Rucksack und  Tasche. Ein sitzender Inder nimmt mir den Rucksack aus der Hand auf seinen Schoß. Ich kann mich wieder anständig festhalten.
Wer in Deutschland würde das genauso machen?

Indien hat viele Facetten, die KKS hat uns umfangreich vorbereitet. Viele Dinge habe ich während meines Aufenthalts wiedererkannt. Andere Dinge kamen überraschend und trafen mich völlig unvorbereitet. Schlussendlich habe ich angefangen zu verstehen, wie die Menschen in meinem Umfeld „ticken“. Fast täglich gab es eine neue Situation, die ich mit der Zeit unterschiedlich eingeschätzt habe. Ich musste verstehen, dass europäisches Denken nicht immer der Situation entsprechend ist. Es war eine sehr gute Erfahrung zu sehen, dass man auch auf anderem Wege ein Ergebnis erzielen kann, dass Diskussionen emotional geführt werden, und vor allem, dass alles irgendwie klappt.

Ab morgen werde ich wieder in Deutschland sein. Ich musste mein Zuhause auf Zeit verlassen. Dinge, die ich früher als selbstverständlich gesehen habe werden mir, vermutlich werden mir viele Dinge, in einem neuen Licht erscheinen. Insbesondere meine Meinung über das Verhalten „der Deutschen“ wird sich verändert haben - bin ich doch seid längerer Zeit an die indische Mentalität gewöhnt: Es geht schon alles… Irgendwie.

Vieles werde ich vermissen. Ich werde die vollen Busse vermissen. Ich werde das Anna Samba im Heim vermissen Ich werde die freundlichen Inder vermissen, die sich hilfsbereit um einen sorgen. Ich werde die Begeisterung unseres Direktors in seinem Garten vermissen mit der er uns die frisch gewachsenen Möhren in die Hand drückt. Ich werde unsere Kinder vermissen, mit allen positiven und nervigen Eigenschaften. Ich werde es vermissen mit unserem Fahrer und der Köchin zu plaudern. Ich kann kaum Kannada, die zwei kaum Englisch, trotzdem stehen wir in der Küche und quatschen.

Aber auf der anderen Seite werde ich mich sicherlich über eine Waschmaschine freuen. Ich werde mich freuen, dass Deutschland sauber ist. Ich werde mich freuen, meine Freunde wieder zu sehen. Ich werde mich freuen, dass ich den Müll in eine Mülltonne stecken zu können. Ich werde mich freuen, dass es Müsli zum Frühstück gibt.

Aber abgesehen von den alltäglichen Dinge stellt sich mir immer dringender die Frage: Was hat es dir gebracht? Was passiert jetzt nachdem ich in Indien komplett neue Erfahrungen gemacht habe? Was werde ich in Zukunft durch diese Erlebnisse anders sehen?

So freue ich ebenfalls darauf Deutschland mit anderen Augen sehen zu können, mit „Indischen“, sowie mit „Deutschen“. Ich bin gespannt auf die Unterschiede, die ich entdecken kann.
Ich werde nach den ersten Tagen in Deutschland berichten, bevor wir den Blog Anfang Mai endgültig schließen.

Jetzt bleibt mir nur noch zu sagen:
Wenn es am schönsten ist. Dann wird es Zeit aufzuhören.
Ich werde Hassan und Indien mit vielen tollen Erfahrungen und Erlebnissen verlassen. Viele nette Menschen haben meinen Weg gekreuzt und ich bin mir sicher, dass die meisten es nicht das letzte Mal getan haben!

(Nico)

1 Kommentar:

  1. Nun ist sie zu Ende, eure Zeit bei Prachodana, an der ich durch eure Berichte teilnehmen konnte. Ihr habt euch super eingebracht und alle werden euch vermissen! Willkommen in Deutschland!

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