Wer reisen will, muss zunächst Liebe zu Land und Leute
mitbringen, zumindest keine Voreingenommenheit. Er muss guten Willen haben, das
Gute zu finden, anstatt es durch Vergleiche tot zu machen.
- Theodor Fontane
16.04.2014 aus dem Prachodana
Jeep
Vor gut acht Monaten saßen
wir schon mal mit unserem Direktor und unserem Fahrer im Jeep, damals ging es
nach Hassan. Heute geht die Fahrt nach Bangalore, geschätzte Reisezeit 4:30.
Anschließend neun Stunden Flug, ein Katzensprung. Schließlich haben wir schon
sehr viele Stunden in indischen Bussen und Zügen verbracht. Diesmal allerdings
scheint nur die Zeit kurz. Dafür sind die Unterschiede umso größer. Obwohl es
in eine eigentlich vertraute Welt geht, sind jetzt, wie auch im August, einige
Dinge ungewiss. Deutschland, Europa, alle die Dinge, die gedanklich damit
verbunden sind scheinen in so weiter Ferne zu liegen. Es ist schwer vorstellbar
wieder in die „andere“ Welt zu kommen.
Unsere Kinder fahren schonmal vor nach Bangalore |
Vor etwa ach Monaten kam
ich in Indien an. Nach einer Einführungswoche ging es in unser Projekt. Die KKS
schickte mich in ein Kinderheim. 35 Kinder, viele davon Straßenkinder, andere
aus sozial problematischen Familien, zwei Lehrer, Robin und ich sollten 8
Monate lang zusammen in Prachodana leben. Ein Zuhause auf Zeit.
Es ist schwer die Fülle an
Informationen und Eindrücke prägnant in Wort zu fassen. Ebenso schwer finde ich
es, meinen Aufenthalt zu bewerten. Die meisten Momente und Eindrücke sind so
speziell oder persönlich, dass sie sich nicht messen lassen.
Ein kleiner Junge
steht vor unserer Zimmertür. „Nico Sir?“ Ich gehe zur Tür und er drückt mir mit
einem Lächeln im Gesicht ein Bonbon in die Hand. Auf meine Nachfrage hin
erklärt er mir, dass seine Eltern gerade da waren und ihm ein paar Bonbons mitgebracht
haben. Mein Blick fällt auf unseren Schrank, Kinderriegel, Pralinen, Bonbons,
Schokoladenosterhasen stapeln sich dort. Ich brauche dieses Bonbon nicht, aber
der Junge möchte es gerne verschenken, er freut sich darüber mir etwas schenken
zu können.
Es sind Momente wie diese,
die einen Aufenthalt im Kinderheim besonders machen, für mich als Freiwilliger
aber auch für die Kinder. Wir geben ihnen Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit, die
sie sonst möglicherweise nie bekommen hätten. Am Ende meiner Projektzeit bin
ich sicher, dass nicht die Aktivitäten, die wir für die Kinder gemacht haben,
das entscheidende waren. Sondern die Zeit die wir mit ihnen verbrachten, sei es
in einer Bastelstunde, Sportstunde oder einfach nur vor dem Büro auf der Bank.
Doch es gibt auch
außerhalb von Prachodana viele Dinge, die in den letzten acht Monaten passiert
sind. Es sind die Menschen, ihre Kultur und ihr Verhalten, die uns häufig neue
Dinge gezeigt und vor große Fragezeichen gestellt haben. Häufig habe ich in
letzter Zeit gedacht: „Warum muss immer alles so furchtbar kompliziert sein?“,
„Warum hört man uns nicht einfach bis zum Ende zu?“, „Warum muss alles immer
auf den letzten Drücker passieren?“ und vor allem: „Warum muss man immer
Warten?“
„Die Inder
drängeln!“, höre ich jemanden sagen und in der Tat werde ich mit einer Hand im
Rücken beiseite geschoben. Die Konversation wird im Imperativ geführt, die
Wartenden drängeln sich in den Bus, ehe alle aussteigen konnten. Ich stelle einen wohlbekannten Vergleich mit
Deutschland an: Kennt man hier kein Benehmen?
Schließlich stehe
ich im Bus beide Hände voll mit Rucksack und
Tasche. Ein sitzender Inder nimmt mir den Rucksack aus der Hand auf
seinen Schoß. Ich kann mich wieder anständig festhalten.
Wer in Deutschland
würde das genauso machen?
Indien hat viele Facetten,
die KKS hat uns umfangreich vorbereitet. Viele Dinge habe ich während meines
Aufenthalts wiedererkannt. Andere Dinge kamen überraschend und trafen mich
völlig unvorbereitet. Schlussendlich habe ich angefangen zu verstehen, wie die
Menschen in meinem Umfeld „ticken“. Fast täglich gab es eine neue Situation,
die ich mit der Zeit unterschiedlich eingeschätzt habe. Ich musste verstehen,
dass europäisches Denken nicht immer der Situation entsprechend ist. Es war
eine sehr gute Erfahrung zu sehen, dass man auch auf anderem Wege ein Ergebnis
erzielen kann, dass Diskussionen emotional geführt werden, und vor allem, dass
alles irgendwie klappt.
Ab morgen werde ich wieder
in Deutschland sein. Ich musste mein Zuhause auf Zeit verlassen. Dinge, die ich
früher als selbstverständlich gesehen habe werden mir, vermutlich werden mir
viele Dinge, in einem neuen Licht erscheinen. Insbesondere meine Meinung über
das Verhalten „der Deutschen“ wird sich verändert haben - bin ich doch seid längerer
Zeit an die indische Mentalität gewöhnt: Es geht schon alles… Irgendwie.
Vieles werde ich
vermissen. Ich werde die vollen Busse vermissen. Ich werde das Anna Samba im Heim
vermissen Ich werde die freundlichen Inder vermissen, die sich hilfsbereit um
einen sorgen. Ich werde die Begeisterung unseres Direktors in seinem Garten
vermissen mit der er uns die frisch gewachsenen Möhren in die Hand drückt. Ich
werde unsere Kinder vermissen, mit allen positiven und nervigen Eigenschaften.
Ich werde es vermissen mit unserem Fahrer und der Köchin zu plaudern. Ich kann
kaum Kannada, die zwei kaum Englisch, trotzdem stehen wir in der Küche und
quatschen.
Aber auf der anderen Seite
werde ich mich sicherlich über eine Waschmaschine freuen. Ich werde mich freuen,
dass Deutschland sauber ist. Ich werde mich freuen, meine Freunde wieder zu
sehen. Ich werde mich freuen, dass ich den Müll in eine Mülltonne stecken zu
können. Ich werde mich freuen, dass es Müsli zum Frühstück gibt.
Aber abgesehen von den
alltäglichen Dinge stellt sich mir immer dringender die Frage: Was hat es dir
gebracht? Was passiert jetzt nachdem ich in Indien komplett neue Erfahrungen
gemacht habe? Was werde ich in Zukunft durch diese Erlebnisse anders sehen?
So freue ich ebenfalls
darauf Deutschland mit anderen Augen sehen zu können, mit „Indischen“, sowie
mit „Deutschen“. Ich bin gespannt auf die Unterschiede, die ich entdecken kann.
Ich werde nach den ersten
Tagen in Deutschland berichten, bevor wir den Blog Anfang Mai endgültig
schließen.
Jetzt bleibt mir nur noch
zu sagen:
Wenn es am schönsten ist. Dann wird es Zeit
aufzuhören.
Ich werde Hassan und
Indien mit vielen tollen Erfahrungen und Erlebnissen verlassen. Viele nette
Menschen haben meinen Weg gekreuzt und ich bin mir sicher, dass die meisten es
nicht das letzte Mal getan haben!
(Nico)
Nun ist sie zu Ende, eure Zeit bei Prachodana, an der ich durch eure Berichte teilnehmen konnte. Ihr habt euch super eingebracht und alle werden euch vermissen! Willkommen in Deutschland!
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